Samstag, 23. Mai 2009

Dear Reader, Nijmegen, 25.04.09


Interview: Dear Reader
Ort: Lux, Nijmegen
Datum: 25.04.2009
anwesend: Cherilyn MacNeil (Gitarre, Keyboard, Gesang), Darryl Torr (Bass, Keyboards, Loops, Gesang), Michael Wright (Schlagzeug, Gesang) und -Christoph- vom Konzerttagebuch


Bei einem Konzert gemeinsam mit Sophia im Kölner Museum Ludwig haben Dear Reader, eine junge Band aus Johannesburg, sich in unsere Herzen gespielt. Am Rande ihres gemeinsamen Auftritts mit ihren City Slang Kollegen Get Well Soon im Lux-Kinokomplex in Nijmegen hatten wir Gelegenheit zu einem kurzen Interview mit Cherilyn, Darryl und Michael. Dabei sprachen wir über Musik in Südafrika, Festivals im Busch, Hamsterbären und ihr besonderes Stilelement, das Loopen, das live-Aufnehmen von Samples, die dann während des Konzerts wiederholt werden.

Konzerttagebuch: Eine südafrikanische Band bei einem deutschen Label, das klingt ziemlich exotisch. Wie kam es zu dazu, daß ihr bei City Slang gelandet seid?

Cherilyn: Wir haben eine myspace-Nachricht an Brent Knopf von Menomena geschrieben, weil wir seine Band mögen, und haben ihn gefragt, ob er unser Album produzieren würde. Und das tat er dann; Brent kam nach Südafrika und hat die Platte produziert. Als wir fertig waren, hat er Christof Ellinghaus angemailt - Menomena sind bei City Slang - und der mochte es. Und er kam nach Südafrika, um uns zu treffen.
Das war alles großartig, denn bei City Slang sind so viele wunderbare Bands, und wir hätten normalerweise nie Zugang zu diesem Label gehabt, wenn nicht Brent mit Christof gesprochen hätte und der unsere Platte gemocht hätte.

Und wie war das dann, mit einem musikalischen Vorbild zusammenzuarbeiten?

Darryl: Es war toll! Als Cherilyn und ich zum Flughafen fuhren, um ihn abzuholen, war es im Auto totenstill. Irgendwann habe ich Cherilyn gefragt: "Bist du etwa nervös?"
Cherilyn: Wir waren beide extrem aufgeregt! Wir hatten Brent ja noch nie getroffen, und jetzt würden wir so eng zusammenarbeiten. Die ersten paar Tage waren wir ehrfürchtig und verschüchtert. Aber Brent ist wirklich warmherzig und freundlich, er geht auf Menschen zu und hat es damit hinbekommen, daß wir aus uns herausgegangen sind.

Von wann stammen die Lieder auf eurem Album? Sind die älter oder jetzt erst entstanden? Für uns in Europa sind sie ja alle neu.

Cherilyn: Wir haben ja bereits vorher unter dem Bandnamen Harris Tweed ein Album veröffentlicht. Diese Songs waren zum Teil älter. Die Stücke für die neue Platte habe ich alle in einem kurzen Zeitraum geschrieben. Deshalb scheinen die meisten auch thematisch zusammenzugehören. Ich habe mich da mit jemandem getroffen und bekam das Herz gebrochen. Danach schrieb ich viele Lieder, die meisten auf der Platte stammen aus dieser Zeit.

Mich begeistert bei euren Konzerten so, daß ihr die komplexen Sounds auch live so gut umsetzen könnt, vor allem die Loops. Und dann passiert immer irgendetwas, Michael taucht immer mal wieder kurz irgendwo anders auf...

Cherilyn: Blob, blob! Wie Wally! Wir sollten ihm eine Strickmütze aufsetzen!
Darryl: Das mit der Loop-Maschine ist ziemlich komisch. Wir haben die, weil wir, als Cherilyn und ich noch zu zweit Musik gemacht haben, die Instrumentierung aufpeppen mussten. Jetzt mit der Band hat das Loopen eine andere Bedeutung bekommen. Wir bauen immer noch Sachen auf, aber nicht mehr das gesamte Lied. Die Loop-Station ist mehr zu einem eigenen Instrument geworden.

Die Choreffekte, die durch das Loopen entstehen, sind fabelhaft!

Cherilyn: Als wir mit der Aufnahme des Albums begonnen haben, habe ich mich gefragt, wie wir das bloß mit den Chören hinbekommen. Aber mit der Loop-Station war das so einfach!

Das Ergebnis klingt aber nicht einfach.

Cherilyn [lacht]: Das einzige Problem ist, daß du keine falschen Töne singen darfst, denn die kommen immer wieder zurück! Oh no! Das kann dann sehr komisch werden. Aber dadurch merken die Leute auch, daß das live gemachte Aufnahmen sind, das versteht nämlich sonst nie jemand.

Ich habe diese geloopten Sounds zum ersten Mal bei Final Fantasy live gesehen. Da spielte Owen Pallett vor dem Mikro Geige, setzte sie irgendwann ab und die Melodie spielte weiter. Das war ein verblüffender Effekt.

Cherilyn: Diese Technik ist immer mehr verbreitet. Menomena haben doch auch eine Loop-Maschine?
Darryl: Ja, Justin hat eine.

Seid ihr seit Februar in Europa auf Tour oder wart ihr in der Zwischenzeit noch einmal zu Hause?

Cherilyn: Wir waren zum Albumrelease zurück in Südafrika, fahren nach dieser Tour wieder zurück und kommen im Sommer zurück nach Europa.

Spielt ihr dann Festivals?

Cherilyn: Ja! Wir wissen aber noch nicht genau welche. Vielleicht Haldern, auf jeden Fall das Berlin Festival, ein paar in England.

Wir hatten gehofft, daß ihr nach Haldern kommt. Das ist ein tolles Festival mit vielen exzellenten Bands. Ihr würdet da perfekt hinpassen.

Darryl: Nach unseren Konzerten fragten immer Leute: "Spielt ihr in Haldern?" - "Wissen wir nicht"
Cherilyn: "Würden wir aber gerne!" Schreib ihnen einen Brief! [lacht] Leider wollen da so viele Bands spielen, wir hoffen aber auch, in Haldern auftreten zu können.

Mache ich. Ihr gehört da wirklich hin. Haldern ist klein, die Leute gehen in erster Linie wegen der Musik hin. Das ist nicht so wie bei anderen Festivals, wo du nur über betrunkene Leute stolperst.

Darryl: Ich kenne leider nur diese Art von Festivals.
Cherilyn: Bei allen Festivals zu Hause geht es nur ums Trinken.

Habt ihr viele Festivals in Südafrika gespielt?

Cherilyn: Ein paar. Es gibt nicht schrecklich viele, aber bei denen sind wir aufgetreten. Die Orte, an denen die stattfinden, sind oft traumhaft!
Darryl: Weil es so wenige gibt, können wir da auch leider nicht immer wieder spielen.
Cherilyn: Wir treten beim National Arts Festival im Juli in Grahamstown auf, und das ist wirklich cool. Das Festival ist mitten im Winter, da friert es, jeder trinkt "Gluhwine" und ist dick verpackt. Das Festival ist eine Mischung aus Jazz, Klassik, Theater, Tanz und natürlich Musik, ein tolles Fest mit vielen guten Künstlern!

Wie ist die Musikszene in Südafrika? Ist sie vergleichbar mit England zum Beispiel oder komplett anders?

Darryl: Eine der
südafrikanischen Bands, die auch in Europa auftreten, ist Tumi And The Volume, die machen Hip-Hop. Die Musikszene bei uns ist sehr Hip-Hop-lastig.
Cherilyn: Auch Afrikaans Musik ist bedeutend, man kann das vielleicht mit deutscher Polka oder Techno vergleichen. Unsere Szene ist sehr klein. Es gibt kaum gute Clubs, daher ist es fast unmöglich, eine gute Show zu spielen. Entweder ist es eine echte Spelunke mit miesem Sound oder du mußt in einem Restaurant auftreten, während die Leute essen. Clubs extra für Konzerte gibt es nicht. Wenn man sich das als Band leisten kann, kann man ein Theater mieten.
Es gibt zwar Leute, die an guter Musik interessiert sind, die Zahl ist aber sehr klein. Daher sind wir extrem dankbar, in Europa spielen zu können. In Südafrika kann man nur in Johannesburg, Durban, Kapstadt und in ein paar kleineren Städten auftreten. Nach einer Woche ist deine Tournee spätestens vorbei.
Weil deshalb viele Bands in den Städten sehr regelmäßig spielen, sind die Leute irgendwann gelangweilt, immer die gleiche Show zu sehen. Jede Woche in Johannesburg die gleiche Band vor den gleichen 200 Gesichtern. Wir müssen uns zwingen, nicht zu oft zu spielen, damit die Zuschauer unserer Konzerte noch Spaß haben.

In Deutschland ist das zwar besser, Indiemusik ist aber auch sehr klein und findet im Radio kaum statt.

Cherilyn: Das ist uns aufgefallen. Was im Radio gespielt wird, hört sich so an wie bei uns. Aber das Land ist eben größer.

A propos Unterschiede: In Köln habt ihr vom anderen Klatschverhalten in Deutschland erzählt. Gibt es aus eurer Sicht andere Unterschiede zwischen dem Publikum in Südafrika und in Europa?

Cherilyn: Europäer sind meist viel besser informiert über Musik, und sie erkennen Kunst mehr an. Bei uns hat die Mehrheit wenig Respekt vor Künstlern. Als ich in der Schule Kunst und Musik belegt habe, wurde das so ausgelegt als wäre ich faul und wolle den einfachsten Weg gehen. Das ist frustrierend. Ich wurde auch nicht mit vieler unterschiedlicher Musik vertraut gemacht.
Es gibt auch diese Kultur nicht, sich über Konzerte zu freuen. Man hört der Musik nicht aufmerksam zu. Es ist eher so, daß man ausgeht - etwas trinken, sehen und gesehen werden - und die Musik mitbekommt. Man geht nicht wegen ihr weg. Wenn bei uns jemand 4 € für ein Konzert bezahlen soll, regt er sich wahnsinnig auf! Auszugehen, um Kunst zu sehen, ist nicht Teil unserer Kultur.
Das wird seit einiger Zeit besser, definitiv! Viele Künstler kämpfen darum, die Standards anzuheben. Das war wie eine Dürre früher. Als ich jünger war, kannte ich nicht eine südafrikanischen Band, die ich mochte. Das bessert sich. Ich kann dir zwar immer noch keine Gruppe nennen, deren CD ich oft gehört habe. Aber die Qualität wird merklich besser.

Das ist ja ganz wichtig, daß Szenen entstehen, sich Bands gegenseitig beeinflussen und motivieren. So wie in Kanada zum Beispiel.

Cherilyn: Kanada oder Frankreich bezahlen Künstler ja sogar dafür, Kunst zu machen, weil es zum Kulturgut zählt!

In Deutschland gibt es in einigen Städten regionale Szenen, in Berlin oder Hamburg vor allem...

Cherilyn: Alle glauben immer, daß wir aus Kapstadt kommen, weil Johannesburg eher eine Stadt für Industrie und Kommerz ist. Die Kulturmetropole ist Kapstadt. In Johannesburg leben die Leute nicht, weil sie da leben wollen sondern weil sie da leben müssen, wegen eines Jobs, oder so. Diese Situation fördert aber die sozialen Fähigkeiten der Einwohner. Johannesburg ist die größte Stadt, du kannst aber nirgendwo ausgehen. In Kapstadt sind all die Touristen, aber die Einwohner sind unfreundlich. Weil sie es sich erlauben können.

Ihr habt vorhin schon einmal von den schönen Stätten erzählt, an denen Festivals stattfinden. Was war der schönste Ort bisher, an dem ihr aufgetreten seid?

Cherilyn: In Südafrika?

Egal, irgendwo!

Darryl: Splashy Fen Festival wegen der speziellen Location [Anm.: in der Nähe von Underberg, etwa 250 km von Durban entfernt]. Das findet in einem Tal statt, in dem es immer regnet. Aber die Ecke ist so schön! Du wachst morgens auf und überall ist Nebel. Das ist ein wundervoller Ort! Aber das beste Festival ist für mich Oppikoppi.
Cherilyn: Oppikoppi... das bedeutet "auf dem Berg". Das Festival ist mitten im Busch, alles ist voller Staub. Und da gibt es dann auch gute Bands; das beste südafrikanische Festival. Dahin kommen dann sogar Gruppen aus Europa.

...

Wir hatten uns festgequatscht und die verabredete Zeit deutlich überschritten. Dear Reader bekamen den Hinweis, zum Soundcheck zu kommen. Als letztes wünschte ich mir noch, daß die Band etwas für unseren Interview-Steckbrief malt. Michael und Darryl einigten sich schnell darauf, daß das Cherilyn übernehmen müsse. Der Sängerin fiel aber nichts ein. Die Chance auf mehr Smalltalk...

Die Streicherin, die ihr in Köln dabei hattet, gehört also nicht zur Band?

Darryl: Nein, sie kam nur für die deutschen Termine dazu.
Cherilyn [lachend]: Wir hatten nicht mehr Platz im Bus. Ich muß einen Bären malen! Ich kann aber nicht gut zeichnen. Oh! Oh! Das sieht gar nicht wie ein Bär aus!
Darryl: Das sieht nach einen lustigen kleinen Hund aus!
Michael: Eher eine Art Hamster!

Dann muß der Mann, der sich in ihm versteckt, sehr klein sein!

Michael: Einheimischer südafrikanischer Hamsterbär!
Cherilyn: Aka Dassie... [Anm.: Dassies sind kleine Säugetiere der Gattung Schliefer]



Vielen Dank! Wir sehen uns in Haldern!


 

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