Montag, 6. Mai 2013

Veronica Falls, München, 03.05.13


Interview: Veronica Falls
Ort: Feierwerk, München
Datum: 03.05.2013
Anwesend: Roxanne Clifford (Gesang, Gitarre), James Hoare (Gesang, Gitarre) und Christoph vom Konzerttagebuch



2010 erschienen die beiden Singles Found love in a graveyard und Beachy Head einer jungen, im Jahr zuvor gegründeten Londoner Band Veronica Falls. Die Kombination aus mehreren Gesangsstimmen, ungemein melodiösen Melodien und düsteren Texten (Beachy Head ist ein Kreidefelsen an der englischen Küste, der als einer der meistgenutzten Selbstmordplätze gilt) versprach viel! 2011 und im Februar 2013 veröffentlichte das Quartett zwei Studioalben, die diese Versprechen locker erfüllten. 

Gute Platten, schön und gut. Unser Qualitätsmaßstab sind Konzerte. 2011 und 2012 konnte ich Veronica Falls im Exit 07 in Luxemburg bzw. auf einer der großen Bühnen des Primavera Festivals in Barcelona sehen - und war begeistert! Um sie bei ihrer Mai-Europa-Tour sehen zu können, musste ich nach München reisen, da Veronica Falls einen Booker mit NRW-Aversion beschäftigen. Obwohl sie bereits mehrfach in Hamburg oder Berlin gespielt haben, sind sie durch den Westen nur regelmäßig durchgereist. Meine erste Frage auf den Weg in ihren Backstagebereich, nachdem ich die beiden Sänger Roxanne und James nach dem Soundcheck getroffen hatte, war dann auch der Grund für die großen Bögen  um Köln.

Roxanne Clifford: kommst du aus München?

Ich wohne in der Nähe von Köln. Da habt ihr aber leider bisher nicht gespielt!

James Hoare: wirklich nicht? Ich erinnere mich nicht genau.

Nein, bisher nicht. Ihr solltet gemeinsam mit den Dum Dum Girls spielen, das wurde aber abgesagt. Gibt es einen Grund, warum ihr noch nicht in Köln gespielt habt?

James: mir ist keiner bekannt.

Im Backstage-Raum im ersten Stock eines der Feierwerk-Bauten war der Tisch fürs Essen der Bands hergerichtet. Mazes, der Support aus Manchester, machte gerade Soundcheck, danach sollte gegessen werden.

Ich habe euch bisher zweimal gesehen, in Luxemburg und beim Primavera Festival in Barcelona im vergangenen Mai...

Roxanne: wir hören von vielen Leuten, daß sie uns beim Primavera gesehen haben. Wir haben gar nicht gewußt, wie viele Leute bei unserem Auftritt da gewesen sind!
James: man merkt, daß das Festival von Leuten organisiert wird, die Platten mögen, also von Musikfans und nicht von Geschäftsleuten, die damit Geld machen wollen.

Auch dieses Jahr ist das Lineup wieder wahnsinnig toll!

James: Oh, ja!

Ich war sehr glücklich, als ich gesehen habe, daß ihr auch wieder spielen werdet.

Roxanne: wir spielen am Eröffnungstag bei dieser Warmup-Party.
James: es ist schade, daß wir nicht beim Festival selbst auftreten können.
Roxanne: ich glaube, es ist extrem selten, daß Bands da zweimal nacheinander spielen. Außer Shellac vielleicht, die scheinen jedes Mal aufzutreten.

Wir hatten schon über Köln gesprochen. Ich bin sehr sicher, daß da sehr viele gerne eines eurer Konzerte sehen würden. Nach Hamburg und Berlin ist Köln sicher einer der besten Orte für Indiemusik in Deutschland.

James: wenn es da eine große Indieszene gibt, ist das verrückt, daß wir nie da waren.
Roxanne: vielleicht gab es Terminprobleme?
James: Vielleicht. Deutschland ist aber allgemein mein Lieblingsplatz für Konzerte in Europa [wenn britische Bands von Europa sprechen, meinen sie das Festland].

Spielt ihr denn auch Festivals in Deutschland? Bislang wart ihr bei keinem, glaube ich.

Roxanne: ich denke nicht.
James: wir waren hier im Feierwerk bei etwas ähnlichem wie einem Festival. Wir haben das Queer Beats hier in München gespielt, das ist allerdings keine dieser großen Outdoor-Veranstaltungen.

Es gibt wirklich einige sehr schöne Indie-Festivals in Deutschland...

Roxanne: mich überrascht, daß uns noch niemand gefragt hat. Wir scheinen ganz erfolgreich in Deutschland - im Vergleich zum Rest Europas - zu sein. Vielleicht werden wir ja irgendwann mal angesprochen.

James: jetzt ist es dafür natürlich viel zu spät, alles ist gebucht.

Was spielt ihr lieber, Festivals oder Clubshows?

Roxanne: ich glaube, ich ziehe Clubshows vor, natürlich gibt es aber
Ausnahmen, wie das Primavera. Es gibt schon einige tolle Festivals, aber man hat da kaum Zeit für den Sound, fühlt sich verloren auf diesen riesigen Bühnen, im Gegensatz zu der intimen Nähe zum Publikum in einem Musikclub.
James: wegen des Sounds wird niemand gerne Festivals spielen, es sei denn, man ist ein Dance-Act. Auf der anderen Seite können Festivals natürlich diese besondere Atmosphäre haben. Man sitzt draußen, hört Bands zu, das kann schon viel Spaß machen.
Roxanne: wenn du eine Band wie die Flaming Lips bist, mit riesigen Bühnenshows und Tausenden Zuschauern, wird jeder Festivalauftritt für dich großartig sein. Aber wir sind so klein und haben keine Bühnenshow.

Was gut ist!

Roxanne: Ja, schon. So kann aber ein Festivalauftritt schon schwierig sein.

Ich mochte euer Primavera-Konzert sehr. Nach dem Abend in Luxemburg ein paar Monate vorher, hatte ich mich gefragt, ob ihr auch auf einer großen Bühne funktionieren würdet - und dann war es sehr toll! Der Sound war hervorragend, mich hat aber vor allem beeindruckt, daß ihr vor einem so einschüchternd großen Publikum so souverän aufspielt und auch unveröffentlichte Lieder spielt.

Roxanne: Danke! Wir waren sehr erstaunt, daß wir danach viel positives Feedback bekommen haben. Es hätte ein Desaster werden können - und dann vor so vielen Zuschauern [lacht],

War das eure größte Show bisher?

Roxanne: wahrscheinlich schon.
James: das war ganz sicher die größte. Wir haben zwar bei ein paar Festivals in Zelten gespielt, die eine ganz gute Kapazität haben, in Reading zum Beispiel. Aber das Primavera war größer.
Roxanne: ich habe keine Vorstellung, wie viele Leute uns in Barcelona gesehen haben aber es sah nach vielen aus! Der Platz [vor der - anders als der Name vermuten läßt - sehr großen Mini-Bühne] sah voll aus!
James: von vorne bis hinten

Ich kann so etwas nicht schätzen, das waren aber schon einige Tausend Zuschauer.

Roxanne: es sah voll aus, wirkte auf uns aber trotzdem intim, weil die Leute toll mitgegangen sind. Das ganze war dann weit weniger einschüchternd.

Und dazu das Meer neben euch, das hat sehr viel Spaß gemacht. Spielt ihr im Sommer Festivals in England?

Roxanne: ja, machen wir
James: wir sind beim Green Man, kennst du das?

Das ist in Wales, oder? Ich war noch nicht da.

James: ja, und es ist recht bekannt. Dann spielen wir beim Latitude, oder?
Roxanne: genau!
James: ich glaube, das ist recht groß und irgendwo außerhalb Londons, in Kent, glaube ich.

Ich war da vor ein paar Jahren mal.

James: und, ist das im Umland von London?

Mitten im Wald zwischen Ipswich und Norwich.

James: Ipswich ist ja fast noch am Rande Londons.

Ich mochte das sehr. Vor allem war toll, daß die Bands, die auf einer Bühne mitten im Wald gespielt haben, mit Kähnen vom Backstage-Bereich zur Bühne gerudert wurden.

Roxanne [lacht]: oh je!
James: wir sollten beim Hop Farm Festival auftreten, haben aber heute ein E-Mail bekommen, daß das ganze Festival abgesagt wurde.
Roxanne: es gibt einfach zu viele mittlerweile

Letztes Jahr wart ihr beim Indietracks. Wie ist das?

Roxanne [lacht]: wir waren Headliner! 

Cool! Ich war noch nie da, spiele aber schon seit Jahren mit dem Gedanken und fahre diesmal hin.

Roxanne: wir haben einmal als Opener gespielt und sind dann zum Headliner aufgestiegen. Das ist ein gutes Festival, denke ich. Vielleicht ein wenig eindimensional. Da ist alles superindie!
James: es kann ein wenig zu superindie sein, wenn du das ganze Wochenende da bist. Bist du die ganze Zeit da?

Ja!

James: du wirst trotzdem natürlich sehr viel Spaß haben.
Roxanne: es ist keines von diesen verrückten Partyfestivals
James: auf dem Zeltplatz machen die Leute schon Party am Lagerfeuer
Roxanne [lacht]: und stricken Cardigans!
James: harmloser Spaß!
Roxanne: und alles wirkt sehr gesund!

Wie läuft die aktuelle Tour?

Roxanne: wir sind erst eine Woche unterwegs, zwei kommen noch. Es hat gut begonnen, das waren ein paar gute Shows, eine sehr volle in Paris, was toll war! Wenn du erst mal auf Tour bist, verschwimmt alles ein wenig. Es läuft gut, wir hatten einige gute Crowds, die Shows haben Spaß gemacht. Gestern in Wien war es auch toll!

Ich rede zwar lieber über Konzerte als über Platten, mir geistert aber seit einiger Zeit eine Frage durch den Kopf. Euer zweites Album ist in recht kurzer Zeit entstanden. Ihr hattet nach der ersten Tour enorm viele Shows, auch in den USA, und habt, so habe ich gelesen, während der Tourneen nicht an neuem Material arbeiten können. Sind die Stücke von Waiting for something to happen neu oder basieren sie zum Teil auf alten Ideen?

Roxanne: es ist gemischt. An ein paar haben wir schon eine Weile gearbeitet.
James: der Großteil stammt nicht aus der Phase des ersten Albums. Als wir das aufgenommen haben, hatten wir noch keine der Ideen für die neuen Songs, vielleicht für einen oder zwei.
Roxanne: die wir dann auch live gespielt haben [Buried alive z.B.]
James: ja, ein oder zwei. Der Rest ist Veröffentlichung von Veronica Falls bzw. nach dem Touren entstanden.
Roxanne: wir haben das erste Album ja zweimal aufgenommen, weil wir mit der ersten Produktion nicht glücklich waren. Darüber verging einige Zeit, in der Buried alive zum Beispiel entstanden ist.

Ich frage deshalb, weil ich bei vielen Bands das ideenlose zweite Album damit erkläre, daß die Songs des Debüts über viele Jahre gereift sind und dann schnell eine neue Platte nachgeschoben werden muß.

James: und die ist dann nicht gut! Das ist ein klassischer Fall. Ich würde wirklich nicht behaupten, daß wir eine richtig gute Band sind. In der Mitte der 90er Jahre gab es Bands wie Elastica oder Supergrass, die ihre besten Songs mit 15 geschrieben haben und wirklich gute Bands wie Blur, die von Album zu Album besser wurden. Wenn du deine Teenage-Jahre für die erste Platte hast und dann sechs Monate für den Nachfolger, zeigt sich, ob du eine wirklich gute oder eine mittelmäßige Band bist. 

Ich mag euer zweites Album keinen Deut weniger als das erste, ihr seid also eine wirklich gute Gruppe.

Roxanne [lacht]: danke!

Zu euren Platten interessiert mich noch etwas sehr, daß ihr sicher schon
oft gefragt wurdet und das sicher nervt. Ihr habt zu beiden Alben eine Cover EP veröffentlicht, auf der ihr fünf oder sechs Lieder anderen Künstler aufgenommen habt. Ich finde es sehr unhöflich, Bands für ihre Cover zu loben bzw. sie darauf anzusprechen, muß es aber trotzdem. Nach welchen Kriterien sucht ihr Lieder aus, die ihr covert? Sind das Lieder, die euch viel bedeuten? Auf der ersten EP ist Under my thumb von den Stones. Ich mag die Rolling Stones überhaupt nicht, ich mag nur ein Lied, Under my thumb. Eines meiner Lieblingslieder!

Roxanne: bei mir auch! Also ich mag auch die Stones, aber das Stück steht über allen anderen! Es ist ein fabelhafter Song!

Als Kind mochte ich die Eurythmics sehr. Mein absoluter Liebling von denen war Thorn in my side.


Roxanne: wow! Dann ist unsere EP eine gute Platte für dich! Zwei deiner Lieblingslieder!
Es müssen nicht unbedingt Songs sein, die wir lieben, wir müssen sie schon mögen, klar! Und wir müssen sicher sein, eine gute Version hinzubekommen.
James: sie müssen für uns coverbar sein.
Roxanne: wir haben auch schon Songs ausprobiert, die nicht geklappt haben. Trial & error, manche funktionieren, andere nicht. Manche hören sich zwar gut an, es fehlt ihnen aber das besondere Element. Mir macht es auch Freude, ein paar unbekannten, zum Teil obskuren Liedern auf diesem Wege ein neues Publikum zu verschaffen.

Spielt ihr einige davon live?

Roxanne: Starry eyes spielen wir regelmäßig.
James: das ist aber nicht auf den EPs, es war die B-Seite unserer ersten Single.

Ich habe das schon live gesehen, auch beim Primavera.

James: mir ist wichtig, Cover ins Set aufzunehmen, weil ich es sehr mag, wenn Bands in Konzerten Coversongs spielen, ein oder zwei. Ich hätte auch kein Problem, eine Band anzugucken, die mehr spielt. Yo La Tengo spielen mal ein halben Dutzend, und niemandem fällt es auf!
Roxanne: ein paar der Lieder der ersten EP haben wir auf Festivals gespielt, auch das Eurythmics-Stück, die von der zweiten aber noch nicht.
James: dabei würden die besser passen, weil die mehr upbeat sind.
Roxanne: Thorn in my side eignet sich toll, live gespielt zu werden, das sollten wir wieder machen. Der Song baut viel Atmosphäre auf. Wir könnten das heute probieren [lacht].

Ach, ich werde euch noch öfter sehen, vielleicht erlebe ich es da mal.
Habt ihr Lieblings-Auftrittsorte oder Lieblingsfestivals?

James: in Deutschland?

Egal!
 

James: ich liebe das Molotow in Hamburg.

Da war ich noch nie.

James: ich würde schon sagen, daß das einer meiner absoluten Favoriten ist!
Roxanne: das Molotow hat eine gute Größe, eine tolle Atmosphäre...
James: ein kleiner Club mit kleiner Bühne und einer lauten Anlage! Solche Läden haben Charakter!

Gibt es Clubs, in denen ihr gerne einmal spielen würdet?

James: in denen, in denen wir unbedingt auftreten wollten, haben wir schon gespielt.
Roxanne: wir haben wirklich schon in einigen schönen Läden gespielt, im Bowery Ballroom in New York zum Beispiel, in der Old Assembly Hall in Hackney. Wenn wir die Wahl haben, versuchen wir schon, die interessantesten Clubs auszuwählen. Mir fällt nichts ein, wo ich gerne spielte.
James: einer der schönsten Säle, in denen wir bisher waren, ist ziemlich unbekannt, weil da nicht oft Veranstaltungen stattfinden. Das ist ein Theater in Madrid, ein wunderschöner Raum, ein Bau aus der Mitte des 18. Jahrhunderts vielleicht.
Roxanne: mit drei Ebenen
James: das Theater war nicht groß, es wirkte wie ein Modell eines großen Theaters.

Gibt es Unterschiede zwischen dem Publikum in verschiedeen Ländern?

Roxanne: du meinst, ob sich die Leute unterschiedlich verhalten? Ehrlich gesagt glaube ich, daß sich das von Stadt zu Stadt unterscheidet.
James: in England ist die Stimmung grundsätzlich zurückhaltender als sonstwo. In Europa wollen dich die Zuschauer unbedingt zurückklatschen. In Wien haben wir gestern eine doppelte Zugabe spielen müssen und da waren vielleicht 150 Leute!
James: das würde in England niemals passieren. Das englische Publikum ist nicht schlecht, es ist nur sehr viel zurückhaltender.
Roxanne: In London klatschen die Leute auch, aber sie schreien nicht. Um richtig enthusiastisch zu sein, sind sie viel zu cool.
James: das ist eben typisch britisch.

Ich höre oft, daß es in Berlin ähnlich ist. Das ist scheinbar das deutsche London...

Roxanne: das haben wir wirklich auch schon bemerkt. Hamburg dagegen ist immer ein großer Spaß mit verrückten Leuten! Ich erinnere mich noch an das letzte Berlin-Konzert, das war ausverkauft und alle standen nur ruhig rum.
James: zu cool für Popmusik!

Hamburg ist sicher die deutsche Indiestadt Nummer eins.

James: ich mag Hamburg sehr!

Und Köln ist Indiestadt Nummer zwei! Danke, daß ihr euch die Zeit genommen habt!




 

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