Interview: Lush
Ort: Primavera Sound Festival, Barcelona
Datum: 03.06.2016
Anwesend: Emma Anderson (Gitarre, Gesang), Phil King (Bass) und Christoph vom Konzerttagebuch
"Du wirst kein Wort rausbringen," sagte mir eine Freundin, als ich von meinem Interview mit Lush erzählte und auch ich hielt das nicht für unwahrscheinlich. Lush sind meine Beatles, die liebste meiner Lieblingsbands, deren Musik mich seit den ersten Veröffentlichungen begleitet. Auch in den 20 Jahren seit ihrer Auflösung, die knapp zwei Jahre nach dem Selbstmord ihres Schlagzeugers Chris Acland passierte, hörte ich ganz regelmäßig Lush.
Wegen der dramatischen Umstände des Bandendes schien eine Reunion grundsätzlich ausgeschlossen. "Das wird wegen Chris nie passieren," war herrschende Indie-Meinung. In den vergangenen Jahren konnte man (so man es wollte) aber viel zwischen Interview- und Facebook-Zeilen lesen und sich eine Rückkehr der Shoegaze-Sterne vorstellen. Mein Puls war dauerhaft auf eine höhere Stufe gesprungen, als Emma Anderson vor zwei, zweieinhalb Jahren bei Facebook gefragt hatte, ob jemand ihr eine wirklich innovative Bandwebsite nennen können. "Asking for a friend."
Seit Spätherbst gibt es Lush offiziell wieder. Im April spielte die Band ihr erstes Konzert nach 20 Jahren im Londoner Club Oslo, es folgte eine Tour durch Nordamerika, die beiden größten Headlineshows der Karriere im Londoner Roundhouse (Berichte hier und hier) und die späte Bestätigung fürs Primaverafestival. Kurz vor dem Auftritt auf der Geheimbühne traf ich Emma und Phil zu einem Interview. Das gestaltete sich erst schwerer als gedacht, weil überall Bands spielten und alles viel zu laut war. Wir gingen dann hinter die Geheimbühne, auf der gerade Los Hermanos Cubero spielte, eine sehr traditionell klingende spanische Band.
Emma Anderson: die sind nicht so laut, das sollte gehen.
Phil King: von wo in Deutschland kommst du?
Aus der Nähe von Köln.
Phil: Gibt es das Luxor noch in Köln?
Ja. Da habt ihr zweimal gespielt, glaube ich? Einmal mit den Pale Saints als Support.
Emma: Auf jeden Fall mehr als einmal.
Ich habe euch damals verpasst, weil ich in einer kleinen Stadt studiert habe, von der aus Köln oder Frankfurt schwer zu erreichen waren.
Phil: wie hieß der Club in Frankfurt noch mal? Der an den Gleisen?
Emma: Batschkäpp.
Dafür habe ich das jetzt nachgeholt und euch bei der Warmup-Show im Oslo und den beiden Konzerten im Roundhouse gesehen.
Emma: Oh, danke!
Wie war das für euch, nach zwanzig Jahren wieder als Lush auf der Bühne zu stehen?
Emma: Merkwürdig aber gut. Ziemlich merkwürdig.
Phil: Großartig war es!
Emma: Es war gut, daß wir das Warmup-Konzert in London gemacht haben. Ursprünglich sollte es vor den ersten Konzerten der Tour in Amerika stattfinden, wir wollten unseren Comeback-Auftritt aber unbedingt in London haben.
Phil: Die Resonanz war sehr gut, das Publikum phantastisch!
Einer eurer Verstärker ist unmittelbar vor Konzertbeginn ausgefallen...
Phil: Mikis, oder?
... hat euch das nervös gemacht? Ich stelle mir das schwierig vor, so kurz vor dem ersten Konzert nach Jahrzehnten.
Emma: nein, das war ok. Wir hatten für alles Ersatz dabei.
Der Aufbau vor dem Konzert war ganz gemächlich abgelaufen. Als Mikis Verstärker durchknallte, wurde der Roadie hektisch und schaffte nach einer Weile den Ersatz herbei und stellte die Regler so ein wie auf dem anderen. Ein Soundcheck fand damit aber nicht mehr statt. Trotzdem klang das Konzert brillant.
Nach dem Konzert im Oslo seid ihr in die USA geflogen, musstet da aber einige Auftritte absagen, weil die Arbeitsvisa noch nicht erteilt waren. Das muß furchtbar gewesen sein!
Emma: Grausam war das!
Phil: Schrecklich!
Emma: Wir können leider nicht detailliert davon erzählen, wir waren aber extrem frustriert.
Phil: Die Konzerte, die wir spielen konnten, waren dann aber großartig mit wundervollem Publikum.
Was war der erste Song, den ihr in den Proben wieder gespielt habt?
Phil: De-Luxe.
Emma: Ja, vielleicht De-Luxe.
Phil: Etwas Einfaches. Oder Sweetness and light?
Emma: Thoughtforms war es, glaube ich.
Phil, Miki und du habt bei dem Oslo-Konzert oft Blicke ausgetauscht...
Phil: ... weil ich einen Song übersprungen hatte.
Emma (lachend): Ich hatte die Setlist falsch gelesen und mit Scarlet angefangen und Justin [Welch - der Drummer] hatte etwas auf seiner Maschine programmiert und gestartet.
Bei den Konzerten im Roundhouse im Mai war von solcher Nervosität nichts mehr zu sehen, obwohl Bühne und Publikum riesig waren.
Emma: Wir hatten in der Zwischenzeit einige Konzerte in Amerika gespielt...
Phil: ... und uns eingespielt.
Wie ist es, wieder als Lush zu spielen?
Emma: Schön! Es fühlt sich toll an. Und Justin ist wirklich brillant!
Phil: Er ist ein phantastischer Drummer!
Emma: Er hat verdammt hart gearbeitet und alle Songs neu lernen müssen.
Phil: Es muß so schwierig für einen Schlagzeuger sein, den Stil eines anderen zu übernehmen.
Ich bin absoluter Laie, hatte aber nach dem Oslo-Konzert festgestellt, daß ich ewig keinen so guten Schlagzeuger mehr gesehen habe. Und er paßt perfekt zu euch.
Emma: Das stimmt!
Justin Welch ist der ehemalige Drummer von Elastica und war Chris Aclands bester Freund.
Ich fahre seit Jahren mit den gleichen Freunden zum Primavera Festival. Auf dem Weg zum Flughafen zurück wetten wir immer, wer im kommenden Jahr wohl auftreten wird. Meine Vorhersagen für 2016 habe ich neulich wiedergefunden. Ich hatte auf Lush und Elastica getippt.
Emma (lachend): Stimmt irgendwie.
Ich war dann aber überrascht, daß ihr nicht mit der großen Bandwelle bestätigt wurdet und stattdessen beim This Is Not A Lovesong Festival in Frankreich spielen solltet. Lush passen so perfekt zu den bisherigen großen Reunions, die beim Primavera stattgefunden haben. Ride, Slowdive...
Phil: ... My Bloody Valentine. Wir wurden so spät bestätigt, weil sie das mit den Bands, die auf der Hidden Stage spielen, immer so handhaben.
Habt ihr schon mal in Island gespielt?
Lush sind einer der Headliner des Iceland Airwaves im November.
Phil: Nein.
Emma: Ich war schon mal da, habe aber noch nicht in Island gespielt. Auch nicht in... ach, das darf ich noch gar nicht sagen. In Polen aber auch noch nicht.
Phil, wie hast du dein erstes The Jesus And The Mary Chain Konzert erlebt, bei dem du im Publikum warst, nachdem du viele Jahre deren Livebassist warst?
Phil: Eigentlich war das sogar besser als sonst! Mit Drinks hinten sitzend, dazu klang die Band phantastisch, besser noch als auf der Bühne! Ich habe es sehr genossen. Best of both worlds! Denn hinterher konnte ich noch backstage gehen und den Rider trinken.
Vor drei Jahren hatte ich eine sehr irre Idee und habe dazu ein email an Miki geschrieben, das ich aber nie abgeschickt habe...
Emma, Phil: Woher hattest du ihre Adresse?
Die habe ich auf der Seite des Magazins gefunden, für das sie arbeitet. Ich wollte euch vorschlagen, eine Crowdfunding-Kampagne zu starten, um ein einmaliges Konzert zum 20. Geburtstag von Split [der 1994er Platte] zu veranstalten. Lush (Un)Split.
Emma: Eine einzelne Show hätten wir nie spielen können, weil es enorm teuer gewesen wäre, wieder zusammen zu kommen. Alleine das Proben und der Kauf all des Equipments hätte ein Vermögen erfordert. Das wäre nicht gegangen. [lacht] Es sei denn, wir hätten vor 50.000 Menschen gespielt.
So mit einem großen Knall, wie Oasis das irgendwann machen werden.
Emma: Machen sie das?
Bestimmt irgendwann.
Emma (lachend): In [Land, über das wir vorher schon nicht redeten].
Wie sind eure mittel- oder langfristigen Pläne mit Lush?
Emma: Wir lassen das gerade alles auf uns zukommen. Wir würden gerne ein Album aufnehmen, das erfordert aber vieles an Organisation.
Phil: Wir haben alle Familien und Jobs...
Ich war sehr überrascht, daß du unmittelbar nach eurer Rückkehr von der US-Tour gepostet hattest, daß du zurück im Büro bist, Phil. Meiner Vorstellung nach sollten meine Lieblingsbands von ihrer Kunst leben können.
Emma: In einer perfekten Welt ja...
Wie habt ihr de Aufnahme eurer EP [Blind spot - erschienen im April] erlebt?
Emma: Das hat großen Spaß gemacht.
Phil: Wir haben die EP aufgenommen, bevor wir mit den Proben der alten Songs angefangen haben.
Emma: Bei Blind spot haben wir mit Danny [Daniel Hunt] von Ladytron zusammengearbeitet. Du kennst Ladytron?
Ja.
Emma: Daniel hat eine Menge Programmierung und Vorarbeit von seinem Zuhause in Brasilien aus gemacht. Ich habe ihm meine Heim-Demos, die ich mit Garage Band gemacht habe, zugeschickt, die er weiterverarbeitet hat. Bei Jim Abbiss haben wir dann Gitarren, Gesang, Bass zugefügt. Wir haben da nicht wie früher gearbeitet. Computer haben viel verändert.
Phil: Auch beim Aufnehmen von Demos. Das ist eine ganz andere Arbeitsweise heute. Früher hast du etwas auf Band aufgenommen und dann immer wieder neu gemacht. Heute geht vieles einfacher.
Emma: Vielleicht machen wir es beim nächsten Mal etwas anders aber es hat gut funktioniert.
Was hat sich sonst noch geändert in den letzten zwanzig Jahren?
Phil: Das Internet!
Emma: Die ganze Musikindustrie ist anders als damals.
Phil: Festivals! Es gab damals so wenige. Heute geht es mehr darum, live zu spielen.
Das müsst ihr machen.
Phil: Genau.
Emma: Die Leute kaufen keine Platten mehr.
Nachdem meine andere Lieblingsband Galaxie 500 ihre Quartalsabrechnung der Streamingdienste veröffentlicht hat, streame ich grundsätzlich nichts.
Phil: Es ist schrecklich, daß die Majorlabel damit zwar viel Geld verdienen, das aber nicht mit ihren Künstlern teilen.
Emma (lachend): Alles wie früher!
Phil (lachend): Ja, eigentlich hat sich also doch nichts geändert!
Gibt es irgendwelche Länder, in denen ihr gerne spielen würdet?
Emma: Südamerika! Da habe habe ich noch nie gespielt, bin da noch nicht mal gewesen.
Phil: Neuseeland wäre großartig.
Südamerika muß toll für europäische Bands sein, weil die da gefeiert werden. Eine russische Band, die ich sehr mag, ist klein in Russland aber in Peru riesengroß.
Emma: Die heißen Small In Russia?
Nein, Motorama.
Phil: Wo du Peru erwähnst: das ist das Land mit dem euphorischsten Publikum, vor dem ich jemals gespielt habe.
Was war das mieseste Konzert, das ihr je gespielt habt?
Phil: Wo fangen wir an?
Emma: hmmm.
Phil: Wir haben ein paar Shows in Tel Aviv gespielt. Vor der dritten hat uns der Veranstalter zum Essen ausgeführt. Ich war viel zu betrunken, als wir auf der Bühne standen.
Emma: Und da war dieses verfluchte Radiokonzert in Amerika. Da haben die Leute Essen und Wasserflaschen auf uns geschmissen. Ich bin von der Bühne gegangen. Miki konnte nicht mal singen, weil ihr Kopf und ihr Mikro klatschnass waren.
Phil: Und dann gab es das KROQ Weenie Roast [1996].
Emma: Ach komm, darüber lachen wir doch heute.
Phil: Die Fugees waren vor uns dran mit Killing me softly, gerade die Nummer 1 in den USA. Sie hatten entschieden, einen Song mehr zu spielen. Es gab da diese Drehbühnen. Wir kamen nach vorne und keiner der Verstärker funktionierte.
Emma: Und keines meiner Pedale.
Phil: Wir traten also zu gewaltigen Buh-Rufen auf. Miki brüllte zurück: "give us a fuck!"
Habt ihr Konzertsäle, die ihr gerne spielen würdet?
Emma: Die Albert Hall! Ich weiß nicht, darüber habe ich nie nachgedacht.
Phil: Sydney Opera House!
Habt ihr die Chance, hier noch andere Bands zu sehen?
Phil: Ich möchte mir Cavern Of Anti-Matter ansehen. Und Robert Forster. Mit dem möchte ich über Haarpflege sprechen.
Ich hätte noch Fragen für einige Stunden. Vielen Dank, daß ihr euch die Zeit genommen habt!
Links:
- aus unserem Archiv:
- Lush, Barcelona, 03.06.16
- Lush, London, 07.05.16
- Lush, London, 06.05.16
- Lush, London, 11.04.16